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Writings on Art
Fictional Writings





STEFAN EWALD WRITER

WRITINGS ON ART & FICTION





Silber zu Gold

über die künstlerische Arbeit von Claudio Wichert
(Ausstellungstext im Rahmen der Ausstellung “ARCANA ARCANISSIMA”, 14.01.-23.01.2022, HILBERTRAUM BERLIN, curated by Clemens Wilhelm)


Claudio Wicherts Malerei erzählt von der Sehnsucht des Menschen nach Transzendenz. Durch die Darstellung von archetypischen Symbolen in dunklen und zugleich leuchtenden Farben kreiert er eine mystische Motivik, die die Grundlage für seine geheimnisvollen Erzählungen liefert. Wir sehen schwarze Bergketten, Turmspitzen und Schlösser, die ab und an von geometrischen Formen umspielt werden. Wenn ich meinen Blick auf Claudio Wicherts Malereien richte, habe ich das Gefühl, eine Reihe von alten, verwunschenen Illustrationen zu betrachten. Ich frage mich, ob es sich hierbei um einen vergessenen Mythos handelt, der Bild für Bild aufs Neue erzählt wird.

Der Maler beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Alchemie. Dabei geht es ihm nicht um Zauberei oder Okkultismus, wie man beim ersten Hören dieses Begriffs vielleicht denken mag. Seine Bilder drehen sich vielmehr um ein mystisches Verständnis anthropologischer Gegebenheiten. Sie sind das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit den defizitären Zuständen der Gegenwart.

Menschen finden immer weniger Halt in der Welt, immer seltener empfinden sie sich als Teil des Ganzen. Wir bewegen uns als verlorene Individuen durch eine hypertechnologische Welt. Dies geht mit einem andauernden Gefühl der Leere einher, das mit Entertainment und Rausch betäubt werden muss. Der Mensch der Gegenwart ist trotz aller Unterhaltungs- und Kommunikationsmöglichkeiten isoliert und leidet zugleich unter seiner Einsamkeit. Wir suchen nach der einen Erkenntnis, nach einer erleuchtenden Erfahrung. Die Bilder von Claudio Wichert erzählen vom Versuch des Einzelnen in Kontakt mit einer höheren, geistigen Ordnung zu treten. Die dunklen Landschaften repräsentieren ebenso dunkle Aspekte des humanen Seelenerlebens. Türme und Schlösser ragen in den Himmel, dort, wo das Materielle in das Immaterielle, das Physische in das Geistige, übergeht. Das Irdische ist das Jetzt, ist das Dunkle, ist das Inhumane. Über dem Horizont passiert die Synthese. Das Körperliche löst sich im Geistlichen auf. Dort findet, alchemistisch gesprochen, die Transmutation ihre Vollendung.   

Die Anlage von Claudio Wicherts Malereien ist immer ähnlich. Die Tatsache, dass sich die Bildelemente wie in einem Kreislauf zu wiederholen scheinen, zollt von der Intensität, mit der der Maler sein Thema erlebt. Ich stelle mir einen Geschichtenerzähler vor, der Abend für Abend an einem Feuer sitzt und jedem, der ihn besucht, die Geschichte von der Veredlung des Menschen erzählt. In dieser Geschichte wird Silber zu Gold.

Je länger ich diese Bilder betrachte, umso bewusster wird mir, dass etwas in meinem Inneren existiert, was vielleicht genauso dunkel glüht wie Wicherts mystische Landschaften. Ich frage mich, was mir fehlt, um mich besser in dieser Welt zu fühlen. Kann ich überhaupt ein besserer, zufriedener Mensch werden? Oder bleibt mir nichts anderes übrig als davon zu träumen?