Writings on Art
Fiction
STEFAN EWALD WRITER
WRITINGS ON ART & FICTION
Oh, why can't you remain like this for ever!
Über den Augenblick in der Porträtfotografie von Doreen Schwarz
Der Augenblick wird gemeinhin als vergängliches Intervall verstanden, als Moment, der kurzzeitig aufflammt, um dann wieder im Strudel der Zeit zu verschwinden. Was jedoch so ein Augenblick wirklich ist, und nicht nur zu sein scheint, bleibt ungewiss. Die fixe Idee, Augenblicke mit Hilfe der Fotografie nahezu unbegrenzt dehnen zu können, ist eine unabdingbare Eigenschaft der Fotografie selbst. Das Foto wird zur visualisierten Erinnerung eines Geschehens, das irgendwann so oder so in der Art stattgefunden haben muss und einen Ausdruck in sich trägt, der so und nicht anders hätte vermittelt werden können.
Doreen Schwarz vertraut der Erzählkraft des melancholischen Augenblicks und verwebt ihn als wesentliches Erkennungsmerkmal in ihre Fotografien. Sie versteht das Bild als ein Behältnis, das mit Erinnerungen und Wünschen befüllt werden kann, das dadurch zu sprechen beginnt und somit eine Erkenntnis vermittelt, die nur auf diese eine Art und Weise gewonnen werden konnte.
Dies geschieht auch in den Porträts ihrer Freunde. Wir sehen die Ergebnisse sehnsüchtiger Prozesse. Bilder, die von der Hoffnung erzählen, einen kurzen, vielleicht gar nicht wirklich da gewesenen Moment zu erhaschen. In ihrer Fotografie Nothing starts here (2012) wird die Suche nach einem solchen Augenblick besonders deutlich. Was sich scheu als Nichts behauptet, entfaltet sich bei genauerer Betrachtung als ephemerer Moment: Ein Handschuh, ein karierter Rock und ein filigranes Bein erobern den Vordergrund des Bildes. Dahinter, unscharf und träumerisch, sind ein See und das grüne Ufer zu erkennen. Von rechts dringen Farbmuster in den Bildraum, Stoff faltet und schichtet sich, die Kappe des Fäustlings scheint fast davonzufliegen. Alles ist flüchtig, ungreifbar wie eine Erinnerung: Ein Augenblick.
Der Glaube daran, dass die Fotografie in der Lage sei, ein Fragment der Wirklichkeit auf unbestimmte Zeit zu erhalten, ist allzu verführerisch und allgegenwärtig. Für die Künstlerin wird diese Annahme zum formalen Prinzip. Fotofilm und Kamera fungieren für sie als Waffen gegen die Vergänglichkeit und funktionieren letztendlich wie ein beruhigender Trugschluss. Es sind lyrische Aufnahmen zwischen subtiler Erotik und empfindsamer Traurigkeit, die auf diese Weise entstanden sind und den Betrachter auf unmittelbare Weise ansprechen. Wir sehen in ihren Bildern uns selbst; unsere Freunde; fantastische Figuren, die wir immer mal sein wollten; Spekulationen und Befürchtungen.
„Oh, why can‘t you remain like this for ever!“ *, schreibt J. M. Barrie in seinem Kinderbuchklassiker Peter Pan und erzählt vom Moment der Erkenntnis, wenn man begreift, dass das, was man gerade sieht und liebt, vielleicht nie mehr sein wird. Es ist diese besondere Qualität des Sterblichen, die Doreen Schwarz in ihrer Fotografie lustvoll und verzweifelt zugleich verhandelt. Bereits an diesem Punkt der Überlegung verlieren die Arbeiten ihre scheinbar jugendliche Arglosigkeit und geben sich als ein unaufhörliches Rudern gegen einen reißenden Strom zu erkennen.
Gleichwohl handelt es sich um Bilder, die von der Vertrautheit zwischen Doreen Schwarz und ihren Modellen erzählen, vom gegenseitigen Einverständnis, vom Wunsch sich wohl und frei zu fühlen. Dieses sichere Wissen um einen Freund auf der anderen Seite ermöglicht eine innige Atmosphäre während der Arbeit und wird auf direkte Weise durch die Intensität der Bilder sichtbar. Dennoch liegt in manchen Porträts eine vibrierende Unruhe verborgen, die sich dem Betrachter durch Kontemplation erst annähernd offenbart. Es handelt sich dabei um die Unsicherheit des Subjekts im Augenblick der Belichtung.
In dem Porträt Ulrike (2013) wird dieses Unbehagen auf bemerkenswerte Weise deutlich und gleicht in seinem dramatischen Verlauf einer Einhornjagd. Wir sehen das Abbild einer schwarzhaarigen Frau, ihren Kopf und ihre Augen dem Betrachter entgegen drehend. Ein kurzes Erkennen, nur einen Moment, und das Modell scheint zu begreifen, dass ein Teil von ihm selbst gerade in ein Bild gefangen wird.
In der Arbeit Position/Portrait (Nina) (2008) ist dieser Augenblick bereits längst vergangen, das Einhorn wurde von einem wundersamen Gehege umringt. Die Frau auf dem Bild hält ihren Kopf aufrecht, fast ikonenhaft, blickt in die Ferne und schaut durch uns hindurch. Unwillkürlich werden Fragen laut: Wer ist sie und was mag sie gesehen haben? Stärke und Schwäche wechseln sich in ihrer Mimik ab, ein eindeutiger Ausdruck ist nicht festzumachen. Man könnte fast meinen, sie habe gewusst, dass es irgendwann Menschen gibt, die über sie denken und schreiben würden.
Diese Ahnung von einer Außenwelt, einer Welt außerhalb der Bilder, verunsichert alle Beteiligten, seien es Künstler, Modelle oder Betrachter. Doreen Schwarz weiß um ihre Bilder und um die Welt außerhalb dieser. Mit Bedacht spinnt sie die Fäden der Inszenierung und ist somit in den Porträts allgegenwärtig.
Ihr Innerstes wird in der Fotografie Teil der äußeren Welt und mit der gewonnen Erkenntnis geht die Enttäuschung einher über das, was gesehen und schließlich erkannt wurde. Vielleicht gibt es für jeden Menschen nur eine Möglichkeit sein Innerstes zu verhandeln. Doreen Schwarz eröffnet sich diese Möglichkeit in den Augen des anderen.
* Barrie, J.M. Peter Pan, London: Penguin Books, 1995