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Writings on Art
Fiction





STEFAN EWALD WRITER

WRITINGS ON ART & FICTION





Suck and Lick

über die künstlerische Arbeit von Malte Pätz
(Katalogtext im Rahmen der Ausstellung “WHY DID THE ARTIST CROSS THE ROAD? HEGENBARTH TRIFFT GEGENWART”, 02.03.-13.05.2017, SAMMLUNG HEGENBARTH BERLIN)

Wir sehen zwei große, glänzende Felder, die mit einem Raster aus Punkten bedeckt sind. Wie viele mögen es sein? Nach einer kleinen Übung im Kopfrechnen weiß man die Lösung. Malte Pätz’ Arbeiten Suck und Lick zeigen uns zwei Mal 850 farbige Punkte, die jeweils auf eine spiegelnde Acrylglasplatte gedruckt eine analytische Anordnung ergeben. Wir stehen vor den spiegelartigen, gepunkteten Oberflächen und verstehen instinktiv, dass man einige Schritte Abstand wahren muss, um diesen Drucken ihr Geheimnis zu entlocken. 

Die serielle Reihung der Farbtöne erinnert an Massen von Lippenstiften und Concealern, wie sie in den grell ausgeleuchteten Auslagen der Drogeriemärtkte liegen. Diverse Fleischtöne in eine Reihe gebracht, angeordnet und beziffert. Kein anderer Wirtschaftszweig als die Schönheitsindustrie versteht sich so gut darin, die Körperfarben auf diese Weise zu systematisieren und zu codieren. 

Alles Fleischliche wird in eine abstrakte, emotionslose Ordnung gebracht, die sich dann doch, nämlich aus der Ferne, als Bild zu erkennen gibt. Wir erkennen also, dass da etwas ist. Die Titel Suck und Lick geben uns einen Hinweis und deuten auf die Welt der Pornografie; eine Bilderwelt, die keine Tabus mehr kennt und sich durch ihren absoluten Exhibitionismus auszeichnet. 

Malte Pätz verweist auf die totale Sichtbarkeit sämtlicher sexueller Varianten, auf ein Angebot, das formal wie quantitativ keine Grenzen mehr kennt. Die visuellen Manifestationen der eigenen sexuellen Bedürfnisse ist heute nur noch eine Google-Suche weit entfernt. Die betörende Oberfläche der Drucke lädt zur heimlichen Berührung ein, im Gegensatz zur Pornografie, der sie entwachsen sind. Man möchte die Punkte anfassen und wissen, ob sie sich genauso samtig wie in der Vorstellung anfühlen. Auf diese Weise transformiert der Künstler das genuin geile Empfinden im Umgang mit Pornos in das subtile Bedürfnis, die glänzende Platte und die matten Punkte ertasten zu wollen. 

Auf bemerkenswerte Weise macht Malte Pätz einen Prozess der Wandlung für uns transparent: Da waren einst Leiber, die arrangiert und fotografiert wurden, um dem wohl grundlegendsten menschlichen Bedürfnis dienlich zu sein. Doch der Künstler raubt der Pornographie ihre Funktion. Und das nicht, um sie zu verfremden, wie so oft, sondern um den Betrachtenden ein Gefühl des Begehrens zu ermöglichen.