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Writings on Art 
Fiction





STEFAN EWALD WRITER

WRITINGS ON ART & FICTION



Die Perfektion des Unperfekten

Über die Künstlerin Sarah Oh-Mock


In der Schriftstellerei, so heißt es, müsse man als Autor seine eigene, unverwechselbare Stimme finden. Das Ziel der künstlerischen Bemühungen könne nur die Herausbildung einer individuellen Stimmfarbe sein, die wie eine Wolke das Werk eines Autors auratisch umhüllt. Für mich stellt das Finden der eigenen Stimme eine immerwährende Herausforderung dar. Denn die eigene Stimme ist das wesentliche Element, das einem Kunstwerk Tiefe und Authentizität verleiht.

Sarah Oh-Mock verfügt über diese eigene Stimme. Sie ist zwar bildende Künstlerin und keine Schriftstellerin; dennoch treffen meine Überlegungen zur Individualität des Ausdrucks auch auf sie zu. Die Kunst von Sarah Oh-Mock ist unverwechselbar, sie ist einzigartig. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch zwei Aspekte aus: Sie sind einerseits formal unfassbar und andererseits äußerst direkt. Ich empfinde Ihre Kunstwerke als nicht gänzlich fassbar, weil ihre spezielle Ästhetik sich gängigen Begriffen entzieht. Wenn ich ihre Videos und die dazugehörigen Installationen betrachte, überkommt mich ein Gefühl elektrisierender Ratlosigkeit. Ich weiß nicht, wie ich die Art, mit der sie Bilder produziert, beschreiben soll. Zugleich spüre ich aber auch eine intellektuelle Erregung, die sich durch den zweiten Aspekt, nämlich die Direktheit ihrer Kunst, ergibt. Ihre Videos sind deshalb direkt, weil sie mit einer künstlerischen Energie und Spontaneität beladen sind, die einmalig ist. Ihre Werke zeugen von einem schrägen Humor und teilweise von einer absichtlichen, liebevollen Hässlichkeit. Das beeindruckt mich.

Text, Musik und Bildmontage bearbeitet die Künstlerin selbst. Auch die vielen unterschiedlichen Charaktere werden allesamt von ihr dargestellt. Auf diese Weise sind ihre Videos äußerst persönlich. Ihre Stimme hallt – metaphorisch gesprochen – durch die Videos mit einer Stringenz, wie ich sie noch nicht gehört habe.

Die Videoarbeiten von Sarah Oh-Mock erinnern an skurrile Traumwelten. Beim Betrachten habe ich stets das Gefühl, Erzählungen zu folgen, deren einzelne Sequenzen aufeinander Bezug nehmen, ohne aber eine Logik im strengen Sinne zu besitzen. Ihre Narrationen bestehen aus aneinandergereihten Erzählsträngen, die traumartige Geschichten ergeben. Ebenso wie unsere Träume hinterlassen sie den Eindruck, man könnte sich nach dem Aufwachen an alles erinnern und den Traum, so wie er war, einem anderen genau mitteilen. Dem ist nicht so. Ihre Werke lassen sich nicht mit einer wissenschaftlichen Genauigkeit beschreiben. Ebenso wie Träume müssen ihre Arbeiten von jedem selbst erlebt und erinnert werden, damit man erahnen kann, worum es geht.

Ein wesentliches Element ihrer Kunst sind Modelle, die sie als Kulissen in die Szenen hineinarbeitet. Es ist offenkundig, dass sie sich mit dem Nachbau von Häusern, Interieurs und anderer Szenerie mehr Arbeit macht, als notwendig wäre, um ihre Geschichte zu erzählen. Doch es sind diese Nachbauten, durch die ihre Erzählungen diese traumartige Struktur erhalten. Das Modell eines Hochhauses macht aus dem Hochhaus eine Erinnerung an ein Hochhaus. Da, wo sie ein möglichst realistisches Bild eines Objekts anbieten könnte, arbeitet die Künstlerin mit einer Erinnerung an dieses Objekt. Diese Erinnerung wirkt schief, roh, unperfekt. Die fehlende Perfektion wird zu Sarah Oh-Mocks unverwechselbarer Bildsprache, zum charakteristischen Tonfall ihrer künstlerischen Stimme. Der Klaviervirtuose Glenn Gould war ebenfalls ein Meister dieser Perfektion des Unperfekten. Während sein Klavierspiel im Studio unter professionellsten Bedingungen aufgezeichnet wurde, summte er die Melodien, die er spielte, einfach mit oder knarzte laut mit dem Stuhl, auf dem er saß. Diese eigenartige Störung der eigenen Produktion ist nun Teil seiner unverwechselbaren, meisterlichen Klavierkunst geworden.

Der Preis, den Sarah Oh-Mock für ihre Eigenartigkeit bezahlt, liegt dabei auf der Hand: Ihre Videos wirken in manchen Momenten ulkig, ab und an geradezu trashig. Die zuvor genannte unfassbare Direktheit wirkt schräg und ein wenig gebastelt. Dennoch fühle ich mich von der Authentizität ihrer Kunst ebenso authentisch berührt: Sarah Oh-Mock ist eine Künstlerin, die sich eingehend mit den für sie relevanten Weltgegenständen auseinandersetzt und diese Auseinandersetzung in eine intensive künstlerische Form überführt. Eine Anpassung an das, wonach der Kunstmarkt gerade verlangt, und zwar nur, um aktuelle Moden zu bedienen, kommt für sie nicht in Frage.

Für mich als Autor liegt hierin etwas, das ich wirklich bewundere: Eine Künstlerin, die sich immer tiefer in ihre eigene Bilderwelt hineinfrisst, dadurch radikaler und kantiger wird, sich abgrenzt von dem, was wir kennen, was der Markt protegiert. Sie bleibt bei sich selbst. Und das tut sie Werk um Werk. Ich suche in der Kunst immer das Gegenüber, also den Menschen hinter dem Werk. Ich versuche der Stimme der Künstlerin zu folgen, um mich weniger einsam zu fühlen, wenn ich mich mit ihrer Kunst beschäftige. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Künstlerpersönlichkeiten regelrecht Angst davor haben, dass man mit Hilfe ihrer Kunst etwas Unerträgliches über sie herausfinden könnte. Sie verstellen ihre Stimme, wollen wie jemand anderes klingen, der sie aber nicht sind und niemals sein können. Diese Künstler haben Angst, dass man zu viel über sie schreibt. Sie befürchten, dass das Material, das sie uns Betrachtern überlassen, etwas zu Tage fördert, was unter Verschluss bleiben sollte. Seine ästhetische Stimme zu negieren bedeutet aber das Aus für die eigene künstlerische Relevanz. Man wird beliebig, weil man sich durch die fehlende Bedeutung der eigenen Aussagen austauschbar macht. Und dennoch: Eine individuelle Stimme erregt Angst. Sie polarisiert, sie eröffnet Diskussionen. Man eckt an, wenn man als Künstlerin laut und sperrig ist. Sarah Oh-Mock zeigt keine Angst. Sie zeigt sich künstlerisch so, wie sie ist. Einem Mann, der unter dem Pseudonym B. Traven Romane veröffentlichte, wird die Aussage zugeschrieben: „Wenn der Mensch in seinen Werken nicht zu erkennen ist, dann ist entweder der Mensch nichts wert oder seine Werke sind nichts wert.“ Ich glaube, dass in diesem Satz etwas Wahres verborgen liegt. Es gibt keinen anderen Weg als den durch das eigene Werk. Sarah Oh-Mock zeigt uns, wie dieser Weg verlaufen kann.